Eine Yogalehrerin, eine queere Pfarrerin, ein Atheist, eine Astrologin, eine buddhistische Nonne, eine Astrophysikerin, ein junger Katholik, der im Kloster lebt, und viele mehr – sie alle hat die Journalistin Michelle de Oliveira nach ihrem Glauben, ihren Zweifeln, nach ihrer Spiritualität und ihrem Weg hin oder weg von Gott befragt. Das Buch «Ich glaube, mir fehlt der Glaube» liest sich wie ein Seismograph der Volkseele auf der Suche nach Sinn und Halt.
Michelle de Oliveira , haben Sie bei den Gesprächen einmal gedacht: «Ah, das ist ein Weg, ein spiritueller Ansatz, den ich weiterverfolgen muss?»
Nein, es gab nicht diesen einen Moment, in dem ich dachte: «Ich glaube, das könnte auch mein Weg sein, in dieser Glaubensrichtung oder Art der Spiritualität fühle ich mich total abgeholt.» Mir ging es in erster Linie darum, mir einen Überblick zu verschaffen, mir Wissen anzueignen und meinen Horizont sehr viel breiter werden zu lassen, was die Themen Glaube, Religion und Spiritualität betrifft. Ich wollte bewusst offenbleiben und allen Protagonistinnen und Protagonisten mit der gleichen Neugier begegnen.
Welche Hauptfrage ist überall durchgedrungen, an was reiben sich die Suchenden heute am meisten?
Dass es eben genau diese Reibung gibt. Fast ausnahmslos alle haben mir erzählt, dass es auf ihrem Glaubensweg oder auf ihrem spirituellen Weg durchaus Momente gab, in denen Fragen und auch Zweifel aufgetaucht sind – und noch immer auftauchen. Dass es nicht immer nur klar und leicht und schön ist, egal welcher Glaubensrichtung oder welcher Art von Spiritualität sie angehören. Aber sie erzählten auch, dass diese Reibung, diese tiefe Auseinandersetzung mit dem, was man glaubt oder auch nicht glaubt, am Ende eine Anbindung entstehen lässt, die stark, tragend und überdauernd ist.
Sie haben das Buch als Suchende geschrieben, aufgrund von privaten Erlebnissen. Die Kirche als Anlaufstelle war für Sie nie ein Thema?
Nein. Ich habe die Katholische Kirche immer als streng und teilweise auch verurteilend und wenig einladend empfunden. Mir wäre gar nicht in den Sinn gekommen, mich mit meinen Sorgen, Fragen und Ängsten an die Kirche zu wenden. Auch wenn ich jetzt darüber nachdenke, glaube ich nicht, dass die katholische Kirche für mich in Zukunft ein Ort der Zuflucht sein wird. Ich glaube, wir sind da zu verschieden.
Was müsste die Kirche ändern, damit Sie eine Anlaufstelle sein kann?
Da kann ich natürlich nur für mich sprechen. Aber für mich fehlt es noch immer an Offenheit. Und zwar an einer ehrlichen, wirklich gemeinten und vor allem gelebten Offenheit, die nicht nur von einzelnen Gruppen und Gemeinden vertreten wird, sondern eine, die die gesamte Katholische Kirche durchdringt und die von allen mitgetragen wird.
Ist das Thema Glauben mit diesem Buch für Sie erledigt – oder sind sie bereits am nächsten?
Das Thema ist für mich ganz und gar nicht erledigt. Ich glaube, die Arbeit am Buch war erst der Anfang. Es war ein wichtiger Schritt für mich, für eine Weile in das Thema abzutauchen und mich zu fragen: Was glaube ich? Die Antwort darauf habe ich noch nicht gefunden, aber sehr viel Wissen, Anregung und Material zum Nachdenken gewonnen. Vorerst werde ich mich im Stillen und manchmal auch nicht so stillen Kämmerlein weiter damit auseinandersetzen. Aber wer weiss, vielleicht entsteht daraus irgendwann noch einmal ein (Buch-)Projekt.
Eine einfache schwierige Frage zum Schluss: Gibt es Gott?
Das wüsste ich auch gerne! Eine Gotteserfahrung, wie sie viele gläubige Menschen gemacht haben, habe ich nicht erlebt. Dass es aber etwas Übergeordnetes, etwas, das über uns Menschen und wahrscheinlich auch über dem, was wir uns überhaupt vorstellen können, steht, das glaube ich und will ich auch ganz stark glauben. Ob das jetzt ein Gott, eine Göttin oder etwas ganz anderes ist, weiss ich jedoch nicht. Und ich bin gespannt, ob ich diesbezüglich je zu einer klaren Antwort kommen werde.
Infos zum Buch und zur Autorin
Das Buch «Ich glaube, mir fehlt der Glaube» ist im Theologischen Verlag Zürich (TVZ) erschienen und kann dort auch online bestellt werden. Die Autorin Michelle de Oliveira stammt aus Zug, sie ist freie Journalistin und Autorin und wohnt seit zwei Jahren mit ihrer Familie in Portugal.