Beten? Hoffen? Warum tut Gott nichts? Und dürfen wir naiv sein angesichts des Schreckens? Manfred Kulla, Diakon in Herz Jesu Oerlikon, mit seinen Gedanken zum Ukraine-Konflikt.
Manfred Kulla, der Konflikt in der Ukraine macht einem als Aussenstehende hoffnungslos fühlen. Woran kann man sich als Glaubender halten?
Ich fühle mich in dieser Situation viel mehr ohnmächtig. Zuerst muss ich erst einmal akzeptieren, dass ein mächtiger Diktator alle internationalen Vereinbarungen brechen und einen brutalen Krieg führen kann. Als gläubiger Mensch weiss ich aber, dass ich die Hoffnung nicht aufgeben muss. Solange wir an das Gute im Menschen glauben, dass Gott in uns angelegt hat, haben die Brutalität und Gewalt noch nicht gesiegt.
Aber Hand aufs Herz: Wirkt Beten angesichts der militärischen Bedrohung nicht naiv?
Der betende Mensch ist nicht naiv, sondern realistisch. Er weiss, dass er Hilfe braucht. Dietrich Bonhoeffer, ein grosser Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, ist überzeugt, dass Gott uns in jeder Notlage Kraft schenkt. Aber er tut es erst, wenn wir in die Notlage geraten sind. Mit dem Gebet «zapfen» wir diese Kraftquelle an.
Dürfen wir denn naiv sein?
Wenn Naivität bedeutet: ich bin überzeugt, dass Solidarität und mein mutiges friedliches Einstehen gegen Gewalt und Brutalität, Berge versetzten und Veränderungen bewirken kann, dann darf – nein dann muss – ich ruhig naiv sein.
… und wieder wird die Frage kommen: Wenn Gott allmächtig ist, warum lässt er Kriege zu? Warum schreitet er nicht ein?
Wir sehnen uns danach, dass das Unglück, das wir durch unser Versagen verursacht werden, von aussen beseitigt werden. Gott ist aber nicht der grosse Puppenspieler im Hintergrund, der einfach eingreift und alles wieder korrigiert. Als freie Wesen haben wir unser Tun zu verantworten.
Also überlässt uns Gott trotzdem unserem Schicksal?
Nein. Als gläubige Menschen wissen wir, dass wir die «Arme» und «Hände» Gottes hier auf der Erde sind, damit Unrecht und Gewalt bekämpft werden können. Durch uns wirkt Gott in dieser Welt, durch uns greift er in das Geschehen ein.