Missbrauch: Pfarrei-Arbeit in Zeiten der Krise

Seit der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im Herbst hat die Kirche in der Öffentlichkeit mit starkem Gegenwind zu kämpfen. Das bekommen auch die Mitarbeitenden an der Basis zu spüren. Diesem Aspekt der Krise widmete sich eine Podiumsdiskussion in der Pfarrei Herz Jesu (Zürich-Wiedikon).

«Kirche, Quo vadis?» – prangte der Titel der Veranstaltung in grossen Lettern auf der Leinwand im Johanneum. Der grosse Saal war gut gefüllt mit Pfarrei-Mitgliedern und Interessierten aus dem weiteren Umfeld und Quartier.

Die Liste der Gesprächsteilnehmenden war interessant besetzt: Zum einen durch die kantonale Kirchenspitze, Generalvikar Luis Varandas und Synodalratspräsident Raphael Meyer. Auf der anderen Seite durch Mitglieder der Pfarrei und Behörde von Herz Jesu Wiedikon. Basis und Spitze – und trotzdem war im gut 90-minütigen Gespräch spürbar, dass der öffentliche Druck sie alle betrifft.

Luis Varandas berichtete aus der täglichen Arbeit, dass für Seelsorgende die Arbeit schwieriger geworden sei, weil die Vertrauensbasis erschüttert ist: «Viele sagen ‹Jetzt müssen wir im Alltag einen Konflikt ausbaden, was andere verursacht haben›». Viele würden auch den Wunsch äussern, als Seelsorgende selbst eine Begleitung eine helfende Ansprechperson zu haben.

Raphael Meyer hält diesbezüglich fest, dass Behördenmitglieder weniger einem Generalverdacht ausgesetzt sind als die Mitarbeitenden in der Seelsorge, die direkt an der Basis und im Pfarreialltag tätig sind.

Die zur Schau getragene Betroffenheit einzelner Kirchenvertreter hat Raphael Meyer auch irritiert: «Man kannte die Resultate von ähnlichen Studien aus dem Ausland. Es wäre naiv zu glauben, in der Schweiz käme ein weniger schlimmes Resultat heraus. Wichtig ist nun, dass die Kirche die Krise zum Anlass nimmt, um zu mehr Glaubwürdigkeit und Transparenz zu finden».

Spürbar wird dies im Alltag. Franziska Erni-Stieger, Beauftragte für Seniorenarbeit Herz Jesu Wiedikon, empfindet Bedauern für ihre männliche Berufskollegen. Sie habe als Frau den grossen Vorteil, dass sie nicht unter Generalverdacht stehe. Ihr würden männliche Kollegen leidtun, die nun nicht mehr intuitiv in der Seelsorge auf Situationen reagieren könnten. «Bewohner im Altersheim umarmen mich oft vor Freude, wenn ich sie besuche. Altersarbeit braucht Nähe. Wo diese wegfällt, bricht etwas Elementares weg», so Franziska Erni Stieger.

Michael Nestler, Religionspädagoge und Jugendarbeiter Herz Jesu Wiedikon, stimmte zu, dass die Situation herausfordernd sei, wenn man in allem unter Beobachtung stehe. Der positive Aspekt daran sei einzig, dass man nun noch professioneller spiegeln müsse, wie man die Arbeit mit Jugendlichen plane und gestalte. Der Verhaltenskodex gebe hier zumindest eine Leitlinie. Komplizierter sei es aber alleweil.

Nicht nur kompliziert, sondern einschneidend empfindet Isabelle Vasquez, Nationaldirektorin Migratio, die neue Situation. In anderen Kulturen gehöre eine Umarmung, beispielsweise beim Trösten, schlicht dazu. Wo diese umgangen werde, würde dies von Hilfesuchenden gar als persönliche Ablehnung empfunden.

Wie kommen nun aber die Kirche und damit auch die Pfarreien aus diesem Tal wieder heraus? Sigmund Thur, Mitglied der Kirchenpflege, nahm die immer wieder gehörte Forderung nach Aufhebung des Zölibates auf: «Ich glaube nicht, dass dieser Schritt alles lösen wird, da sollten wir uns nicht in falscher Hoffnung wiegen. Das zeigen andere Missbrauchsfälle in anderen Umfeldern als der Kirche.»

Artur Czastkiewicz, Pfarrer Herz Jesu Wiedikon, meinte, dass die Kirche sich aus einer verhängnisvollen Falle lösen müsste: «Es darf bei Vergehen keine Form von falscher Barmherzigkeit geben. Es ist fatal, Busse und Strafe zu vermengen.»

Der Wunsch, nach härterem, konsequenterem Durchgreifen durch die Kirchenspitze wurde auch bei den Fragen aus dem Publikum spürbar. Raphael Meyer und Luis Varandas verwiesen gemeinsam auf die Neuerungen im Personal- und Meldewesen der Kirche und wiesen darauf hin, dass der Prozess angestossen, aber weiter professionalisiert werden müsse.

Eindringlich wandte sich am Schluss Isabelle Vasquez an das Plenum und das Publikum: «Prävention ist eine Sache von uns allen. Jede Gemeinde, jedes Mitglied, die etwas wissen, müssen reagieren und dürfen nicht schweigen. Wir alle sind verantwortlich.»

    

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