Es gibt Spötter, welche die Zünfte der Stadt Zürich gerne mit einer kostümierten Glaubensgemeinschaft vergleichen. Einer, der so etwas wie die Schnittmenge zwischen Kirche und Zunft verkörpert, ist Pfarrer René Berchtold von der Mutterkirche St. Peter und Paul. Er ist seit 2012 Mitglied der «Zunft zur Hard».
«René, Du wirst Mitglied bei uns!» – mit diesen Worten betrat 2009 Coiffeurmeister und Zunftmitglied René Stadler das Büro von Pfarrer René Berchtold. Die beiden kannten sich nachbarschaftlich gut: Das Zunftrestaurant «Werdguet» befindet sich im gleichen Gebäude wie das Pfarrei-Sekretariat, gleich hinter der Kirche St. Peter und Paul.
René Berchtold erinnert sich, nur noch hervorgerbacht zu haben: «Moment, das möchte ich doch noch in Ruhe überlegen …», aber die Entschlossenheit Stadlers war unmissverständlich. Berchtold machte sich also seine Gedanken. Und obwohl ihm das innere der Zunft und auch weitegehend deren Mitglieder völlig fremd war, freundete er sich allmählich mit der Idee an. Ja, er erkannte sogar als Kirchenmann eine spannende Perspektive:
«Wir sprechen immer von einer Geh-hin-Kirche. Also einer Kirche bei den Menschen, im ganz alltäglichen Leben draussen. Das hat nichts mit Mission zu tun, vielmehr mit einer Horizontweiterung, raus aus dem Kirchenkuchen. Die Zunft war dann mal was anderes als nur graue Theorie».
Dabei gilt zu sagen: Pfarrer in Zünften sind generell keine Neuheit. Viele reformierte Pfarrer der Stadt Zürich gehören Zünften an. Geschichtlich und kulturell gehörte ihre Mitgliedschaft allerdings eher zur Norm als bei katholischen Geistlichen.
Bei der «Zunft zur Hard» wechselten sich reformierte Pfarrer der Kirche St. Jakob mit der Mutterkirche als «Botschafter Gottes» ab. Nach dem legendären St. Peter und Paul-Pfarrer Guido Kolb wäre eigentlich wieder die reformierte Kirche für die Mitgliedschaft an der Reihe gewesen. Wäre. René Berchtold: «Mein damaliger Amtskollege bei den Reformierten hatte allerdings mässig Lust darauf. Da hat man auf dem Karussell eben ein Pferdchen übersprungen und mich angefragt».
Wie üblich nahmen ihn zwei Zunft-Göttis unter die Fittiche. Und nach den drei obligaten Sechseläuten-Teilnahmen als Kandidat und einer Zunftprüfung wurde René Berchtold schliesslich 2012 aufgenommen. Mit der Aufnahme folgte die standesgemässe Einkleidung in eines der historischen Kostüme. Rene Berchtold entschied sich – unter tatkräftiger Beratung des Kostümchefs – für das schwarze Ratsherren-Kostüm und der weissen Perücke. Man bleibt sich treu.
Seither findet kein Bott, keine Versammlung und vor allem kein Sechseläuten ohne René Berchtold statt.
Ist er heute der Exot in der Zunft? Wie erlebt er das Miteinander? René Berchtold: «Ich schätze das Zunftleben. Es entstehen tatsächlich gute Freundschaften, das Klima ist sehr angenehm. Viele Katholiken in der Zunft suchen auch bewusst das persönliche Gespräch mit mir».
Und die Kritik nach letztjährigen Entgleisungen mit rassistischen und sexistischen Sprüchen bei einer anderen Zunft, die publik wurden? «Ich habe nur einmal, beim Besuch einer anderen Zunft, gedacht: Okay, jetzt ist es dann gut.» Er betont: «Wenn es anders wäre, würde ich nicht mitmachen.»
Eine Frage drängt sich trotzdem auf: Sowohl bei der katholischen Kirche wie bei den Zünften bleibt Frauen der Zugang in die 1. Reihe verwehrt. Obwohl – auch diese eine Parallele zur katholischen Kirche – unzählige Frauen die Maschine in den Zünften am Laufen halten. Sucht René Berchtold etwa bewusst die «frauenfreie Zone»?
René Berchtold winkt lachend ab. «Ich weiss, dass man dies so sehen könnte. Nein, aber es scheint mein Schicksal zu sein, dass ich hier, wie in der katholischen Kirche, eher zur Minderheit gehöre, die nichts gegen Frauen in gleichwertigen Rollen hätte.»
(Fotos: Zunft Cintya Fey, Martin Conrad)
Sechseläuten-Gottesdienst
Traditionellerweise laden die drei Kirchen der Stadt Zürich am Sonntag vor dem Feiertag zum ökumenischen «Sechseläuten-Gottesdienst» ein. Eine der Trägerinnen des Anlasses ist auch Katholisch Stadt Zürich.
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