«Zürich liest» mit Ilja Richter: Von einem religiösen Obdachlosen

Ilja Richter? Genau, die TV-Legende mit der Kultsendung «Disco» in den 70er-Jahren. Doch das ist in diesem Falle nur eine Randnotiz. Längst ist der Berliner als Schauspieler eine feste Grösse auf den Bühnen, der abseits des Mainstreams unterhaltet. Mit dem Buch «Lieber Gott als nochmal Jesus» tritt er am 22. Oktober im Rahmen einer musikalischen Lesung in der Paulus Akademie auf. Es geht um das «Glauben wollen» – ist aber trotzdem unterhaltend», sagt Richter.

«Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn». Dieses Zitat von Romancier Julian Barnes gab Ilja Richter einen entscheidenden Impuls zum Schreiben des Buches «Lieber Gott als nochmal Jesus». Richter nimmt darin die Leserschaft mit auf seine Suche nach einer religiösen Heimat. Das Buch ist persönlich, aber kein Seelenstriptease zum Fremdschämen. Der Schriftsteller Michel Bergmann  bezeichnet es, trotz der aufgeworfenen Lebensthemen, als ein «Lachbuch».

Ilja Richter, das Buch bezeichnen Sie selbst als eine Suche. Dann fragen wir: Haben Sie auch eine religiöse Heimat gefunden?
Nein, ich bin zwar protestantisch im Unterricht erzogen worden, aber das Christentum hatte dann in meinen Leben so wenig «Nachwirkungen» wie das Judentum, dass durch meine Mutter theoretisch auch vorhanden war. Aber Jesus als Persönlichkeit beschäftigt mich seit Kindertagen bis heute! Nur zum Glauben an ihn hat es religiös bei mir nicht gereicht. Leider.

Deprimiert Sie das?
Nein, verstehen Sie mich nicht falsch: Auf der Suche habe ich immer mich in Frage gestellt, nicht Gott. Vor dem Hintergrund aller Ereignisse und Gedanken, die in so einem Leben wie meinem eben Platz haben. So gesehen: An Gott zweifle ich nicht, aber ich könnte mich keiner Religion zuordnen. Ich würde mich daher als Obdachlosen zwischen Kreuz und Davidstern bezeichnen.

Das Unterfangen Ihres Buches und die Thematik lassen nicht auf einen leichten, unterhaltsamen Abend schliessen, der in Zürich stattfinden wird. Wird das dicke Kost, die seelische Entblätterung eines 71-Jährigen?
Um Gottes Willen, das wäre mir zuwider, nur das nicht! Mit dem Thema des Buches werden ernste Themen wie Leben, Tod, Sinnhaftigkeit, Schicksal – auch die Geschichte meiner jüdischen Grosseltern – behandelt. Nur geschieht dies mit Mitteln der Unterhaltung. Ich bin ein schreibender Entertainer, wende daher auch entsprechende Mittel bei der Lesung an. Witz, Ironie, Sprache, Musik.

Sie stehen schon lange auf der Bühne, haben zahlreiche Bücher geschrieben. Ist dies ein Altersbuch, das jetzt fällig war?
Das klingt jetzt wirklich wie der letzte Akt vor dem Ableben (lacht). Nein, ich bin ein grundoptimistischer Mensch mit einem lebensbejahenden Blick nach vorne. Es stimmt aber, dass ich in diesem Buch jetzt Dinge aufgreife, an die ich mich als Autor selbst mit 60 nicht gewagt hätte. Jetzt schon. Das geschieht aber immer mit Blick auf die Gegenwart. Mit zunehmendem Alter kommt anderes ins Blickfeld. Zum Glück, sonst würde man sich ja endlos rezyklieren. Mein Ding ist das nicht. Das überlasse ich andern …

Macht Humor den Umgang mit schweren Themen einfacher?
Auf jeden Fall lässt sich so im Leben mit der Endlichkeit leichter umgehen: Der Tod ist humorlos, aber notwendig. Ein Mitarbeiter Gottes mit dem nicht zu spaßen ist: Mit mir schon. Auf meine Kosten! Fast eine Beichte – so der Untertitel Ich hoffe, dass die Besucher dies auch am 22. Oktober in Zürich merken. Ich will Persönliches gestehen und dennoch damit unterhalten. Mein Buchtitel «Lieber Gott als noch mal Jesus» stellt ihn weniger in Frage als meine Ratlosigkeit zwischen Kreuz und Davidstern.  

(Foto Ilja Richter: Hannes Caspar)

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