Begegnung
Kirche kann Heimat für Menschen sein, wenn der Mut zur Ehrlichkeit da ist. Meint Matthias Braun (60), Pfarreibeauftragter und Seelsorger in Heilig Geist (Zürich-Höngg).
«Gott spielt nicht Schach mit uns, nein, das hat er nicht nötig. Schach ist ein Duell, ein Gegeneinander. Ich bin aber überzeugt, dass Gott uns verbinden und uns zusammenführen möchte. Untereinander und mit ihm. Wenn es aber eine Verbindung zwischen Schach und dem Leben, vielleicht auch der Kirche gibt, dann diese: Es sind nicht die dominanten Figuren wie Dame und König, die das Spiel entscheidend beeinflussen. Sondern die unscheinbaren, dargestellt durch die Bauern. Wir alle können also den Unterschied ausmachen.
Schach ist für mich ein Rückzugsort zur Entspannung. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht spiele. Vielleicht zeigt dies, dass ich vom Naturell her ein Kopfmensch bin. Natürlich habe ich mir schon überlegt, ob dies ein Nachteil als Seelsorger ist. Heute denke ich aber, dass mir dies Demut verleiht: Mir ist bewusst, dass ich zu andern nicht immer die Nähe entwickeln kann, die ich möchte. Diese Grenze meiner Fähigkeit zeigt mir jedoch auf, dass wir alle begrenzt in unseren Möglichkeiten sind. Das zu wissen, lässt mehr Gelassenheit mit andern zu.
Hier kommt für mich der Glaube ins Spiel. Denn der Glaube kann die Grenzen verschieben. Vor Grenzen dürfen wir deshalb auch keine Angst haben. Das ist mir in unserem Pfarrei-Leben wichtig. Ich gehe sogar so weit und sage: Wir haben in der Pfarrei eine Pflicht zum Ungehorsam. Denn dass sich die katholische Kirche nach wie vor schwertut mit der Aufarbeitung von Missbrauch, der Frauenfrage und dem Umgang mit LGBT-Menschen, das dürfen wir nicht einfach akzeptieren.
Warum also noch katholisch? Diese Frage wurde mir rund um die Missbrauchsenthüllungen oft gestellt. Heute ist der soziale Druck ja nicht mehr da, Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Also: Was mich bei allen Stürmen immer noch berührt, sind die Riten, Zeichen in der Messe oder das gesprochene Kyrie. Das berührt mich, wo Worte und Gedanken scheitern – und das sage ich als Kopfmensch.
Für eine Kirche, die dieses Gemeinschaftsgefühl mit Gott vermittelt, steh ich morgens gerne auf. Denn füreinander da sein, einander auf dem Weg fördern und sich gegenseitig helfen – das braucht es heute und morgen. Schlussendlich sind wir alle eine grosse Weggemeinschaft, die sich auf die Suche nach der Quelle der Liebe macht. Klingt kitschig? Vielleicht.
Aber ist es nicht so?»
