1. Mai auf katholisch: Arbeit ist mehr als Leistung und Gewinn

Als Feiertag ist der «Tag der Arbeit» am 1. Mai eine Errungenschaft der Gewerkschaften. Was heute oft vergessen geht: Auch die katholische Kirche hat sich durch die Soziallehre dezidiert zum Schutz des Menschen geäussert. Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki im Interview.

Thomas Wallimann-Sasaki, gibt es zentrale Berührungspunkte der gewerkschaftlichen Anliegen mit der Soziallehre mit der katholischen Kirche?
Ja, im Zentrum stehen der Mensch und seine Würde. Ausgehend von der Not im 19. Jahrhundert und dem ausufernden Kapitalismus, der Arbeitende zur Ware machte, kämpfen Gewerkschaften wie auch Kirchen für die Achtung der Menschen. Die katholische Soziallehre betont, dass sich die Menschenorientierung daran zeigt, wie man mit den Schwächsten umgeht. Dass jede und jeder auch Verantwortung übernehmen soll, und dass Arbeitswelt und Wirtschaft nachhaltig sein müssen.

Wo unterscheiden sich die gewerkschaftliche und die kirchliche Sicht auf die Arbeit?
Es gibt in der Schweiz zwei grosse Gewerkschaftslinien. Die eine geht auf die sozialistische Tradition zurück, eine zweite auf die christliche. Dafür stehen Organisationen wie Travail.Suisse, Syna oder Transfair. Im Zentrum steht bei beiden die Überzeugung, dass die Wirtschaft für den Menschen da sein muss und nicht umgekehrt. Die Unterschiede finden sich im Ton. Die Soziallehre der Kirche wertschätzt zudem die Rolle der Arbeitgebenden höher und betont die Verantwortung aller: Arbeitende, Unternehmen und Staat. Denn damit es allen gut geht, müssen alle Beteiligten ihre Fähigkeiten einbringen.

Sozialethiker Thomas Wallimann-Sasaki

Die Bibel zeichnet ein gnadenloses Bild der Arbeit. So sagt Gott: «Mit Mühsal sollst du dich von ihr nähren dein Leben lang.» Und Im «Schweisse seines Angesichts» soll Adam fortan arbeiten. Wie soll dies verstanden werden?
Das ist nur die eine Seite! Arbeit – auch davon erzählt die Bibel – gibt dem Menschen auch Sinn, lässt ihn die Welt gestalten und formen, appelliert an seine Verantwortung und seine Rolle in der Schöpfung. Auch Gott hat – wenn wir den Schöpfungsmythos betrachten – sechs Tage «gearbeitet». In der Arbeit zeigt sich also auch die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Aber Arbeit ist keine heile Welt.

Die Arbeitswelt wird komplexer, schneller, gnadenloser. Hat die Kirche aktuell dazu noch was zu sagen?
Ja – und sie tut es leider viel zu selten. Gerade der Sabbat – für Christinnen und Christen auch der Sonntag – erinnert daran, dass Arbeit nicht «Mehr und noch mehr» ist, sondern Zeiten der Ruhe braucht. Dies ist auch Ausdruck, dass in der Arbeitswelt der Mensch im Zentrum stehen muss und nicht die Leistung. Die Fragen nach dem «Warum arbeiten wir überhaupt?» oder «Wie macht meine Arbeit Sinn?», die wir heute gern der Generation Z zuschreiben, stehen auch im Zentrum der kirchlichen Sicht auf die Arbeitswelt.



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